Retrospektive

McLeod Ganj, vor 2 Wochen

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Nachdem ich mich umgesehen habe, ist die Sinnkrise ueberwunden. Indien ist so - so, dass man alles anzweifelt, sich aufregt, dass sich unerklaerliche, emotionale Abgruende auftun, nur um unmittelbar von absoluter Faszination und euphorischen Ausbruechen abgeloest zu werden.

ich besuche das tibetanische Museum und ernte scheife Blicke, weil ich weinen muss. Alles scheint so surreal. Wieder und wieder muss man sich erinnern: das passiert wirklich. Die chinesische Armee marschiert zu tausenden in ein durchweg friedliches Land ein, unterdruekct und foltert die bevoelkerung udn schaendet eine jahrtausende alte Kultur. Es passiert wirklich: tausende von Tibetanern wandern durch die schneebedeckten Gipfel des Himalayas. Viele ueberleben es nicht, andere erleiden Erfrierungen an den Extremitaeten, leiden an Hunger und Hoehenkrankheit und schaffen es doch schliesslich nach Nepal oder Indien, wo viele abgewiesen, wieder deportiert werden. Fehlende Papiere oder der Verdacht, es koenne sich um chinesische Spione handeln sind einige von vielen moeglichen Gruenden.

Man laeuft durch McLeods Strassen und muss sich immer wieder in Erinnerung rufen: fast alle dieser Menschen hier haben diesen Weg hinter sich, viele waren im Gefaengnis und sind gefoltert werden, viele werden ihre Familien nie wieder sehen und traeumen seit über 50 Jahren den Traum von einem freien Tibet. Es ist ein bekannter Konflikt, umso mehr stellt sich die Frage: warum stossen solcherlei Vergehen an den Menschenrechten nicht auf mehr Gehör? Wie kann ein solcher Konflikt über so viele Jahre andauern, ohne dass sich bedeutende Veränderungen andeuten?

An meinem letzten Tag in McLeod löse ich mein Versprechen ein, dass ich einem tibetanischen Mönch gegeben habe und gehe zur Monastery, um den Dalai Lama zu sehen.
Stundenlang warten die Menschen, geduldig, ruhig. Wir alle knien auf dem Boden des Innenhofs, ein Stockwerk ueber uns haelt der Dalai Lama eine Rede. Sam, der Australier, den ich dort treffe, hat ein Radio und wir versuchen, die englische Übersetzung der Rede zu hören, aber der Empfang ist zu schlecht. Hinter mir drängelt eine tibetanische Frau. Ich schätze sie auf um die 80 Jahre alt. Sie ist so aufgeregt, dass sie kaum still sitzen kann und ich lege einen Arm um ihre Schulter. Sie laechelt mich an. Schliesslich bewegt sich eine kleine Delegation die Treppe hinunter und wir sehen ihn: den Dalai Lama. Ernst wirkt er, nciht ganz so heiter´, wie ich ihn von Bildern in Erinnerung habe. Über der Monastery liegt ein respektvolles, ein friedliches Schweigen. Alle pressen kniend die Handflaechen aneinander, zweifelsohne fuer Frieden betend. Der Dalai Lama nickt in die Runde, lächelt, steigt in einen Jeep und ist auf und davon. Die alte Frau stützt sich an mir ab, um auf die Beine zu kommen, lächelt strahlend und humpelt an mir vorbei, zum Ausgang.

Ein letztes Mal laufe ich zum Wasserfall im benachbarten Baghsu. Das Wasser kommt aus den Bergen und ist eiskalt. Abgesehen von einem Haufen kiffender Israelis und Inder im Urlaub ist es angenehm friedlich hier.

Ich erinnere mich an den Vortag, als ich über 3h lang den Berg hinauf geklettert bin, bis ich - krebsrot im Gesicht und mit vor Anstrengung zitternden Beinen - oben angekommen war und das Tal überblickte. Plötzlich realisieren: ich sitze im Himalaya. Wie komisch das ist, "ich sitze im Himalaya. ich bin 20 Jahre alt und ich sitze allein im Himalaya."
Komisch, wie alles, was so fremd, so weit weg erscheint, einen begleiten, umgeben kann, ohne dass es je möglich wäre, das volle Ausmaß zu realisieren.

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Abends steige ich schweren Herzens in den Bus nach Manali. Ich habe mich einmal mehr in Indiens Diversität verliebt. Die Busfahrt kommt mir vor wie eine Klassenfahrt; Weiße aller Nationalitäten tauschen ihre MP3 Player untereinander aus, kaufen Chips und Süßigkeiten und schleichen sich in den Pausen aus dem Bus, um schnell einen Joint zu rauchen.
Komisch, wie verbunden man sich mit Menschen fuehlen kann, die man nie zuvor gesehen hat und höchstwahrscheinlich nie wieder sehen wird. Und das alles nur, weil man gemeinsam fremd ist.

Morgens um 5 stehen wir in einem ausgestorbenen Manali und finden uns zu Grüppchen zusammen, um Rickshaws zu teilen. Ich fahre mit einem Argentinier und einem Franzosen nach Vashisht, einem Dorf in der Naehe von Manali, dass den entscheidenden Vorteil heißer Quellen hat. Die ersten drei Tage jedoch kein Glück: es ist so kalt, dass wir nachts selbst mit Decken und Schlafsäcken erbärmlich frieren. Zwischen 30 und 50 Grad gewöhnt ist niemand auf Temperaturen um den Nullpunkt vorbereitet.



Es regnet und regnet und eine graue Wolke folgt der nächsten. Nach 3 Tagen klärt es endlich auf und ich laufe stundenlang am Fluss entlang, nach Manali, das eher laut, etwas schmutzig und typisch indisch ist, nach Old Manali, was touristisch, hübsch und aufdränglich wirkt.

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Die Zeit wird knapper und knapper und mir bleiben nur noch 2 Wochen. Alle anderen fahren nach Leh. Ich beschließe, den Rückweg nach Delhi anzutreten.

Im Bus treffe ich einen sonderbaren Russen mit wildem Blick und brüllendem Lachen. Er erzählt von seinem Job und etwas vom Leben in Moskau. Das Problem, sich vom Bild des Polizisten als Freund und Helfer in diesem Land abzuwenden, hat er nicht: er ist es gewöhnt, davon zu laufen und zu bestechen.

18h später die altbekannten Temperaturen, Straßenlärm und Chaos und ein Gefühl, als käme man nach Hause. Indien hat mich wieder fest im Griff und ich bin unruhig. Ich weiss nicht, was es ist, das mich hält. Ich muss wieder und wieder hierher kommen. Und alles scheint mir so vertraut.

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FrauH. (Gast) - 1. Jun, 20:06

Das ist ein ganz wunderbarer Bericht, nach dessen Lektüre sogar ich Lust auf Indien bekommen könnte!

la lune qui brille (Gast) - 1. Jun, 20:22

das freut mich
Shaka Khan (Gast) - 3. Jun, 03:34

Dem kann ich mich nur anschließen: schöner Bericht und schöne Photos

la lune qui brille (Gast) - 3. Jun, 16:03

3.43Uhr???? Ach, die Studenten...
Janett (Gast) - 3. Dez, 15:02

Wow

Sehr schöne Fotos wirklich, da kann ich auch nur die Daumen hochheben!

Nora reist

6 Monate Indien + 2 Monate Südafrika

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 18:28

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